Authentizität als Stolperfalle im Content-Marketing – was Werbung nicht kann
Immerhin haben es viele Unternehmen mittlerweile verstanden, dass die potenziellen Kunden nicht zum Kauf gedrängt oder überredet, sondern vom Produkt respektive der Dienstleistung überzeugt werden wollen. Dennoch ist es teilweise erschreckend zu beobachten, wie die vermeintlich authentische Ansprache der Zielgruppe auf ganz unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird. Authentizität ist ein wichtiger Aspekt im Content-Marketing. Aber das Glück lässt sich nicht erzwingen, das Vertrauen der Nutzer nicht erkaufen.
Hochglanz-Authentizität führt am Ziel vorbei
Im Grunde genommen ist „authentische Werbung“ ein Widerspruch in sich. Besteht doch insbesondere in der Werbe- und Marketingwelt der weitverbreitete Irrglaube, dass authentische Alltagssituationen von Menschen wie du und ich, einem vertrauenserweckenden Empfehlungsmarketing gleicht.
Nur leider wirkt eben nicht jedes noch so banale Produkt erstrebenswert, wenn die natürlich anmutende Wahrhaftigkeit der Aussage in einer platten Botschaft mündet. Am Ende des Tages sind Spots oder Posts fast immer Inszenierungen. Denn die kolportierte etwaige Wahrheit wird für einen ganz bestimmten Zweck inszeniert: kauf mich!
Wenn du mich wirklich haben willst, greif doch einfach zu. Ich weiß genau, du denkst an mich, ich lass dir keine Ruh. Ich bin die Lottozahl, die dir fehlt zu deinem Glück. Ich gehör zu dir und du zu mir, warum nimmst du mich nicht mit? (Die Toten Hosen, Kauf mich!)
Der Text des zuvor zitierten Punk-Klassikers geht bezeichnend mit den Worten „Du bist das Opfer, ich bin Täter, rund um die Uhr“ zu Ende. Und genauso fühle ich mich auch, wenn ich das hier sehe:
Die letzten vier Sekunden machen alles kaputt! Eigentlich ein schönes Beispiel für Storytelling und mit der „Freundschafts-Überraschungs-Mission“ aus dem Jahr 2014 schwingt ein Hauch von Content-Marketing mit. Dann kommt die Authentizität mit einem gequälten Lächeln ins Spiel. Knall, Peng, Puff – das ist nicht mal mehr ironischer Comic-Stil à la Batman. Auch wenn wir uns in Sachen Content-Marketing durchaus in den 60er-Jahren wiederfinden.
Ganz ehrlich: die gängige Fielmann-Werbung wirkt für mich in der Machart wie das Blair Witch Project. Ein Horrortrip durch die wohl authentischste Werbebotschaft der Welt. Von uns für euch oder vielmehr, von uns Vieraugen für euch ahnungslosen da draußen. Für die eher eitlen Mitmenschen, die es einfach nicht wahrhaben wollen, dass sie längst eine Brille benötigen – für nur ganz wenig bis überhaupt kein Service Geld, könnt ihr endlich alle Schriftgrößen im Webbrowser erkennen.
Der zweite Teil der Commerzbank-Kampagne aus dem Jahr 2013 um Lena Kuske, wurde in Sachen Authentizität wunderbar inszeniert. In „Der nächste Schritt“ wird die Filialleiterin selbst noch mehr in den Mittelpunkt gerückt. Persönlich, selbstkritisch und authentisch wirft sie zugleich die Gedanken auf, was das mit einem Menschen macht – der von seinem Unternehmen so exponiert dargestellt wird.
Das ist womöglich alles legitim, überhaupt nicht schlimm und im Endeffekt dem Format geschuldet. Die eigentlichen Fragen, die sich mir stellen, lauten jedoch: Wieso will ich oder warum sollte meine Werbung unbedingt authentisch sein? Kann sie das überhaupt gewährleisten? Sollte meine Kernbotschaft die Konsumenten nicht stattdessen überraschen, sie auf die Reise eines nutzenstiftenden Mehrwerts mitnehmen? Macht eine kreative, wenn gleich fiktive Geschichte nicht viel mehr Spaß, als die bloße Aufführung vermeintlicher Echtheit?
Text-Authentizität macht die Sache schwerer
Als wahrhaftig wird das Nutzenversprechen von der relevanten Zielgruppe wahrgenommen, wenn sie den Eindruck hat, dass sich die Marke nach außen hin nicht anders darstellt, als sie tatsächlich ist. Original und Fälschung sozusagen. Du sollst kein falsches Zeugnis geben, also nicht lügen. Demnach muss die sogenannte Markenpersönlichkeit über einen realen Hintergrund verfügen und sich in verschiedenen Facetten des unternehmerischen Handels widerspiegeln.
Es geht also darum, Vertrauen aufzubauen, das Vertrauen der Zielgruppe zu gewinnen und vor allem nicht zu enttäuschen. Gepaart mit Transparenz übrigens auch ein wesentlicher Bestandteil der Krisen-PR. Letztendlich wird einem dieses Vertrauen nur entgegengebracht, wenn man hält, was man verspricht!
Eva Schumann, Journalistin und Bloggerin, hat in diesem Zusammenhang die Krisenkommunikation von VW zum Abgas-Skandal herangezogen:
Leugnen, Herunterspielen, Uneinsichtigkeit und langsame Informationsweitergabe. Das scheint auch authentisch – vermutlich waren alle Beteiligten und Unbeteiligten in Panik -, das kommt in diesem Fall aber gar nicht gut an. […] Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Sympathie werden noch weiter verspielt. Authentische Kommunikation ist nicht immer charmant und nicht immer die passende Lösung. VW hätte besser daran getan, nach einem solchen Skandal, so professionell zu agieren, wie es ihre Hochglanzwerbung und sonstige Selbstdarstellung in der Kommunikation verspricht.
Werbung gelingt es ohnehin nur selten, das abgegebene Versprechen einzuhalten. Der Aberwitz: das muss ihr auch gar nicht gelingen. Zumal die Konsumenten eine gewisse Übertreibung sogar erwarten oder zumindest duldend in Kauf nehmen. Authentizität ist jedoch ein sehr gutes Mittel zur Akzeptanz von Werbebotschaften – vor allem, was die bewusste und rationale Bewertung der Botschaft angeht.
Übertreibung macht also anschaulich. Überspitzung ist das neue schwarz. Ein aktuelles Viral aus UK von TravelSupermarket packt die Klischeekeule aus und zeigt, wie das aussehen kann (aber bitte nicht muss):
Natürlich handelt es sich hierbei nicht um Content-Marketing, sondern höchstens um kreatives Advertising. Erfolgreich ist die Kampagne trotzdem. Und ein bisschen witzig ist sie auch.
Das ist nicht nur authentisch, sondern pures Content-Marketing mit Mehrwert für den Leser – das Entscheidungen festigt, treibt und beeinflusst. Jede Organisation muss sich mit Inhalten beschäftigen und auf diese besinnen, die zum Kern der Markenpersönlichkeit passen und für die der Leser auch die Kompetenz beim Unternehmen vermutet.
Die Kunst ist es, wie diese wenigen Vergleiche von Content-Marketing und klassischer Werbung verdeutlichen, wahre oder für wahrgenommene Geschichten mit Fakten anzureichern und mit ihnen Bedürfnisse zu wecken und zu befriedigen. Nicht zu idealisieren und völlig zu überzeichnen, sondern Produkte und Dienstleistungen authentisch in einem realen und klaren Kontext zu zeigen.
Blog-Authentizität sollte stets gewährleistet sein
Insgesamt ist es schwierig, den Nutzer unbefangen in eine Markenwelt eintauchen zu lassen. Schließlich wird er sich gleichzeitig und fortlaufend über das Internet Informationen einholen, die die Werbebotschaften relativieren und das Marken-Image schlimmstenfalls entzaubern.
Wir reden von Menschen, die gelernt haben, mit dem Internet umzugehen, es für sich zu nutzen. Sie arbeiten damit. Sie leben damit. Sie nutzen es für ihre individuellen Zwecke. (Babak Zand via ZIELBAR, Warum es im Content-Marketing keine Abkürzung gibt)
Corporate Blogs können dem entgegenwirken und dabei authentisch und großartig sein. Meist sind es jedoch renommierte Unternehmen mit einer klaren Strategie und gut funktionierenden Social-Media-Accounts, die in dieser Hinsicht positiv auf sich aufmerksam machen. Kleinere und mittlere Unternehmen hingegen nutzen ihre Kanäle mehrheitlich noch immer ausschließlich zur Verlängerung klassischer Marketingbotschaften.
Anstatt sich darauf zu berufen, dass mit Werbung nicht ausreichend Inhalte transportiert werden können, sollte die Tiefe der Themen sowie deren Vielfalt in Blogs weitergeführt werden. Jedes Unternehmen hat etwas zu erzählen – emotional aufgeladene Geschichten aus dem wahren Geschäftsleben, die die Kunden interessieren und die ihnen einen Nutzen stiften.
Wie das gelingen kann, hat der Buchautor und Blogger Sascha von Hirschfeld mit seinem Beitrag „Authentisch bloggen und trotzdem verkaufen“ beschrieben. Ich habe seine darin enthaltenen 5 Grundregeln für authentisches Bloggen etwas modifiziert. Der Grundsatz, leserfreundliche und authentische Kompetenz samt Einfühlungsvermögen vermitteln und ausstrahlen zu wollen, bleibt indes bestehen:
Als Blogger und Unternehmer wirst du nicht weit kommen, wenn du versuchst, jemand anderes zu sein. Sich zu verstellen – etwa indem du aus einem gewissen Leistungsdruck heraus, erfolgreiche Blogger imitierst. Das mag als Starthilfe und zu Beginn des Blogger-Daseins funktionieren. Auf Dauer solltest du aber Prioritäten setzen und deinen Lesern etwas Eigenes bieten. Dazu gehören der individuelle Schreibstil und spezielle Nischen-Themen. So kannst du dich als Fachmann positionieren und wirst als solcher ernst genommen.
2. Schreibe über Dinge, die Deine Leser beschäftigen
Versetze dich in die Lage deiner Leser. Höre genau hin, was sie zwischen den Zeilen fragen und zu vermitteln versuchen oder sehr direkt und vermeintlich ungerechtfertigt via Kommentarfunktion vom Stapel lassen. Angriffe solltest du nicht persönlich nehmen und Fingerspitzengefühl walten lassen. So bekommst du sehr gut eine Idee davon, was deine Leser interessiert, umtreibt und beschäftigt. Sicher musst du dir dabei auch nicht alles gefallen lassen, aber Authentizität heißt nicht nach Belieben auszuteilen – wenn einem danach ist und man so ist, wie man ist.
3. Schreibe über Dinge, die Dich beschäftigen
Nichts kann weniger inspirierend sein, als ein Artikel über ein Thema, das dich fürwahr nicht interessiert. Dein Desinteresse wird sich unmittelbar auf das geschriebene Wort auswirken und beim Leser ebenso wenig Enthusiasmus auslösen. Daher solltest du grundsätzlich nur über Themen schreiben, die dich wirklich beschäftigen. Das können zum Beispiel Alltagssituationen sein, die im Kontext der Content-Strategie von Bedeutung sind. Unberechtigte Kritik kann in Form eines Replik oder Rand deine Gefühlslage widerspiegeln. Natürlich sollten dann auch die daraus gezogenen Konsequenzen und Lösungsvorschläge respektive Alternativen geschildert werden. Authentischer geht es doch kaum.
4. Beziehe deine Leser ein und reagiere auf Feedback
Ein wichtiger Ansatz, um Nähe und Vertrauen zu schaffen, liegt darin, die Leser bei der inhaltlichen Gestaltung der Artikel mitwirken zu lassen – zum Beispiel nach weiteren Themen zu fragen, die nach deren Ansicht in späteren Artikeln behandelt werden sollen. Ein „Call-to-Action“ ist Pflicht bei jedem Beitrag und bringt Schwung in die Interaktion. Jedweder Kommentar hat eine Antwort verdient, mal mehr und mal weniger ausführlich, aber bitte auch hier authentisch bleiben. Das kann gegebenenfalls eine sachliche Herangehensweise beinhalten. Ironie könnte helfen, wird aber häufig eher missverstanden. Der Verzicht auf Marketingphrasen wäre in jedem Falle erstrebenswert.
5. Entwickele ein Gespür für die Situation deiner Leser
Wenn die Beziehungen zu den Stakeholdern kontinuierlich gepflegt wurden, fällt es zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich leichter, dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen und ihn zu verstehen. Es empfiehlt sich, dessen Bedürfnisse ernst zu nehmen und vor allem sich selbst als nicht so wichtig zu erachten. Durch Kompetenz, Integrität, Benevolenz und Authentizität entstehen langfristige Bindungen. Eine offene und ehrliche Kommunikation darf allerdings nicht unter der Einbindung von Emotionen leiden – und umgekehrt. Auf sachlicher Ebene sind pragmatische Lösungen gefragt. Hingegen ist eine sachliche Antwort auf emotionale Vorwürfe in der Regel kontraproduktiv. Ferner werden unkonkrete Antworten auf konkrete Anschuldigungen eher weiteren Unmut hervorrufen.
Abschließen möchte ich mit den weisen Worten von Julia Wadhawan, Redakteurin und Autorin, die mit der Bezeichnung „authentisch“ gleich zwei Probleme verbindet:
Erstens führt sie in die Irre. Als ‚authentisch‘ angeführte Kampagnen wie die […] der Telekom [2013] sind nicht etwa gut, weil ihr ‚Nutzerversprechen wahrhaftig‘ ist. Sie sind gut, weil sie überraschen: […] Indem die Telekom eine Geschichte erzählt, die zwar wahr, vor allem aber ergreifend ist. […] Was in der Werbung gemeinhin als authentisch beschrieben wird, ist in Wahrheit schlicht originell, also echt anders. Oder es ist echt langweilig. Womit wir bei zweitens wären: Die Bezeichnung ‚authentisch‘ scheint mittlerweile vor allem herhalten zu müssen, wenn der Geschichte kein anderes Adjektiv gerecht werden will. Kurz: Wenn eine Kampagne nicht lustig, spannend, ergreifend oder geistreich ist, dann ist sie eben authentisch. Und das bedeutet leider allzu oft: echt schlecht.
Niemand hat behauptet, dass es einfach ist, authentisch zu sein! Zumal Authentizität wie alles andere total nervt, wenn sie überhandnimmt. Wo liegt denn deine ganz persönliche Nervgrenze? Wie gehst du mit dem Thema Authentizität im Content-Marketing um? Was spricht dich an, wann wendest du dich von einer Marke ab?
Autor: Stefan Schütz / Google+
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
Pingback: Funktioniert authentisches Marketing bei der Generation Y?
Servus,
danke für deinen interessanten Beitrag und die Verlinkung zu meinem Artikel. Wen es interessiert, hier ist er: http://keen-communication.com/der-wert-der-wahrheit-in-der-unternehmenskommunikation/
Um auf deine Fragen Bezug zu nehmen, für mich bedeutet Authentizität im Content Marketing, Persönlichkeit zu zeigen und somit ist es ein sine qua non. Es ist das, was dich – auch als Marke – einzigartig macht, es ist dein Charakter und somit kann er nie falsch, fad, langweilig oder sonst irgendwie sein. Das bist du, das lebst du, mit jedem Tun.
Damit ist gleichzeitig klar, dass du auch niemals allen gefallen wirst – es nicht musst und auch nicht sollst. Der Wahrheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation sollte das aber auf keinen Fall hinderlich sein, denn Authentizität hat absolut nichts mit guter Inszenierung und Umsetzung zu tun.
Ganz liebe Grüße aus Wien
Ivana
Hallo Ivana,
diesmal habe ich leider gar nicht zu dir verlinkt – aber das konnten wir ja hiermit nachholen 😉 Wie es scheint, treibt uns dieses Thema derzeit alle so ein bisschen um!
Danke für dein Feedback und viele Grüße
Stefan
Moin Stefan. Sehr ausführlich. Danke! Hat dich der Artikel auch zum Schreiben animiert 😉 Mich auch. Ich finde die Worte von Frau Wadhawan nicht so Weise, sondern komplett an der Begrifflichkeit „Authentizität“ vorbei. Ich gehe daher einen anderen Weg in der Kausalkette, warum Werbung ein Oxynorom sein kann, aber eben nicht sein sollte. Eine Intention verliert nicht an Wert, nur weil ihr Begriff fälschlich gebraucht wird. Ganz im Gegenteil. Gerade dann avanciert der Wert zum Mehrwert. Fazit: Authentizität darf kein Mittel zum Zweck sein, sondern Ehrlichkeit muss bereits Teil der Intention sein. Ob nun schön verpackt, oder nicht. Dann klappts auch mit der Glaubwürdigkeit 😉 So legst du es ja auch schön in dem Auszug zum Bloggen dar. Besten Gruß, Oliver
Moin Oliver,
ja, er hat mich auch inspiriert – ich fand ihn aber zum Beispiel hinsichtlich der genutzten Zitate nicht tiefgreifend genug. Meine respektive die Schlussworte der Autorin finde ich hingegen klasse. Ob jetzt in punkto Authentizität korrekt angewandt oder nicht. Viel wahres dran 😉
Beste Grüße
Stefan
Liebe Leser, Oliver Marquardt meint mit „auch inspiriert“, den Hintergrund, dass er zufällig am gleichen Tag ebenfalls einen Beitrag zu exakt diesem Thema geschrieben hat – diesen möchte ich euch nicht vorenthalten: http://www.marquardt-strategie.de/blog/ist-werbung-nur-eine-luege/