Projekte starten mit Design Thinking:
Kreative Konzeptfindung mit System
Buchrezension zum Werk von Jens Otto Lange
Projektarbeit gehört in allen Unternehmungen, die ich kennenlernen durfte, zur Tagesordnung. Ob Digitalisierung, Innovationsvorhaben, Change-Prozesse oder neue Produkte und Services – sie starten allesamt als Projekt. Und Design Thinking hilft mitunter, sie zum Erfolg zu führen. Wie das gelingt und was das bedeutet, klären wir im Rahmen der folgenden Buchrezension.
Projektarbeit mit Design Thinking: Das geht ja gut los!
Normalerweise zeige ich an dieser Stelle immer das Buch-Cover. Da derzeit auf den gefundenen Bildern der Schriftzug „Urheberrechtlich geschütztes Material“ prangt, sehe ich diesmal davon ab. Kein größerer Verlust, ich hatte mir bei diesem Thema eher ein kreatives Feuerwerk erhofft. Aber das ist nur die Hülle: Außen Floppits, innen Geschmack. Die Inhalte von „Projekte starten mit Design Thinking: Kreative Konzeptfindung mit System“ (BusinessVillage; 1. Auflage 2020, 270 Seiten, 24,95.- EUR) von Jens Otto Lange überzeugen jedenfalls. Und darauf kommt es schließlich an.
Dieses Buch ist entsprechend für jeden Kommunikator interessant, der für komplexe Herausforderungen schnelle, pragmatische und kreative Lösungen sucht. Es enthält zahlreiche praxiserprobte Methoden sowie Tipps und Tricks zur Umsetzung. Der Autor versteht das Playbook als Leitfaden für alle, die Design Thinking in Betracht ziehen, um Projekte kraftvoll zu starten. In diesem Sinne greife einige Aspekte heraus:
Was ist eigentlich Design Thinking?
Welche Erfolgsfaktoren gibt es hierfür?
Wie laufen die entsprechenden Prozesse ab?
Was ist eigentlich Design Thinking?
Design Thinking ist ein systematischer Lösungsansatz für komplexe Problemstellungen. Der gesamte Prozess respektive die Herangehensweise orientieren sich bedingungslos an den Intentionen, Wünschen und Bedürfnissen der Nutzer. Dieser Ansatz geht, gegenüber anderen aus Wissenschaft und Praxis, über die klassischen Design-Disziplinen wie Gestaltung und Formgebung hinaus. Zugrunde liegt die Annahme, dass Herausforderungen besser mit interdisziplinären Teams zu meistern sind. Und zwar durch ein kreativ-förderndes Umfeld sowie klar strukturierte Prozesse.
Im Buch steht geschrieben:
- Der Mensch ist das Maß aller Dinge: Gute Gestaltung basiert auf Empathie für und Feedback durch die Menschen, für die du demgemäß etwas gestaltest.
- Zeige, was du meinst: Kommuniziere deine Ideen für neuartige Nutzerlebnisse über alle Sinne und vermittle sie in wirkungsstarken Geschichten.
- Finde das Problem: Verdichte komplexe Probleme in einfachen Fragestellungen, die andere inspirieren.
- Denke mit deinen Händen: Baue schnell einfache Prototypen, um deine Idee zu formen, sie an Dritte zu kommunizieren und frühzeitig zu testen.
- Vertraue dem Prozess: Sei dir jederzeit bewusst, wo du stehst, welche Methoden Sinn machen und was genau du erreichen willst.
- Radikale Zusammenarbeit: Setze auf Diversität. Bringe motivierte Innovatoren mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen zusammen, um neue oder kreative Lösungen zu entwickeln.
- Machen statt reden: Design Thinking ist handlungsorientiert und braucht Tempo. Probiere den nächsten Schritt einfach aus, anstatt zu lange über das Für und Wider zu reden. Machen ist wie wollen, nur krasser!
Welche Erfolgsfaktoren sprechen für Design Thinking?
Das Buch gliedert sich übrigens in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die Rolle des Designfacilitator in der Organisation des Unternehmens. Für den zweiten Teil „Erfolgsfaktoren“ erstellte ich eine eigene Infografik. Darauf gehe ich nachstehend näher ein. Der dritte und ausführlichste Teil handelt vom Workshop-Format „Innovationsstarter“. Einige Tipps und Tricks sowie barrierefreie Templates hieraus finden Interessierte auf der Website des Autors – echt super!
Purpose: Jeder Workshop braucht ein präzise formuliertes Ziel. Im Rahmen des Design Thinking wird das Workshop-Ziel als „Design Challenge“ formuliert – lösungsoffen und aus der Perspektive potenzieller Nutzer.
People: Beim Design Thinking steht der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt. Dies gelingt durch die Einbeziehung etwaiger Nutzer und die Zusammenarbeit in cross-funktionalen Teams.
Place: Klar, die Ideen entstehen im Kopf des Einzelnen, doch benötigt der Mensch Raum zum Denken. Arbeitsräume erzeugen Stimmungen und Emotionen und wirken sich demnach unmittelbar auf die Leistung aus.
Process: Erst der Nutzer, dann das Produkt! Design Thinking hilft, das intuitive Vorgehen in ein leicht nachvollziehbares Kreativ-Prozess-Modell zu überführen. Die Gestaltung des Prozesses ist ein zentraler Faktor.
Pace: Design Thinking eignet sich für die Lösung komplexer Fragen in kurzer Zeit. Es fördert den Austausch von Wissen und Ideen – mit sozialer Interaktion zwischen Menschen in einem kontrolliertem Raum.
Project: In vielen Organisationen findet Design Thinking vor dem eigentlichen Start eines formalen Projektes statt. Wichtig sind sowohl ein fester Start- als auch Endtermin sowie zugeordnete Ressourcen.
Sidestep: Interview mit dem Autor Jens Otto Lange
Herr Lange, in Ihrer Vita stehen namhafte Unternehmen von Audi bis Zalando. Was raten Sie kleinen und mittelständischen Betrieben oder Start-ups? Wie gehen diese das Thema Design Thinking am besten an? Ist es am Ende eine Budget- und Ressourcen-Entscheidung?
Gerade kleine und mittelständische Unternehmen profitieren von Design Thinking. Ihnen fällt es in der Regel leichter neue Ideen in die Umsetzung zu bringen. Außerdem stehen sie in der Regel ihren Kunden näher und können diese einfacher in den Design Thinking Prozess einbinden. Kleine und mittelständische Unternehmen sollten sich aber klar machen, wofür sie Design Thinking einsetzen wollen.
Ein hervorragendes Betätigungsfeld sind digitale Innovationen. Sie lassen sich aus Erweiterungen bestehender Produkte und Services oder ganz neuen Geschäftsmodellen entwickeln. KMU sollten dafür ein eigenes Team aufstellen, das sich zu einem Großteil seiner Zeit mit dieser Herausforderung befasst. Gleichzeitig sollte es mehrmalige Zwischenchecks der Entscheider geben, um die Richtung der Investition in die Innovation kritisch zu überprüfen.
Gibt es Unterschiede beim Design Thinking hinsichtlich einer B2B- oder B2C-Kommunikation? Und daran angeschlossen gefragt: Lassen sich die Ergebnisse eines wie im Buch beschriebenen Workshops sowohl intern als auch extern nutzen? Wie könnte das aussehen?
Das Vorgehensmodell ist für B2B und B2C das gleiche. Allerdings gibt es im B2B-Kontext häufig nur wenige Unternehmenskunden mit weitgehend persönlichem Bezug. So bietet sich für B2B-Kontexte ein Co-Creation-Ansatz an, bei dem Kundenvertreter über den gesamten Konzeptfindungsprozess in den Workshop-Teams mitarbeiten.
Im B2C-Bereich ist es schwieriger, die Kunden einzubeziehen, weil die Beziehung in der Regel nicht so eng ist. Sie können meistens auch nicht direkt über ihre Bedürfnisse Auskunft geben, so dass diese zunächst „gefunden“ werden müssen. Es empfiehlt sich daher, die Kunden über qualitative Forschungsmethoden wie Interviews oder Beobachtung indirekt in den Design Thinking Prozess einzubeziehen.
Über den Autor
Das Workshop-Konzept „Innovationstarter“ lässt sich grundsätzlich intern oder im Mix mit externen Partnern anwenden. Je gemischter die Gruppe, desto mehr Perspektiven kommen zusammen. Das erhöht das Spektrum an Ideen und Lösungen und reduziert das Risiko von blinden Flecken. Voraussetzung ist, dass die Partner sich vertrauen. Rechtliche Fragen der Geheimhaltung lassen sich im Vorfeld vertraglich mit einem „Non-Disclosure-Agreement/NDA“ klären.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht: In welcher Lage befinden sich Unternehmen in dem Moment, wo Design Thinking zur Anwendung kommt? Wurde der Ansatz aus freien Stücken oder in einer besonderen Lage gewählt? Hat sich Design Thinking aus Ihrer Sicht etabliert?
Unternehmen, die sich für die Anwendung von Design Thinking interessieren, stecken in einem Prozess digitaler Transformation. Sie wollen ihre Organisation agiler und kreativer machen, so dass sie den digitalen Wandel schnell und nachhaltig bewältigen. Daher suchen sie Wege und Methoden, die ihren Mitarbeitern helfen, Abteilungssilos zu überwinden. Und gemeinsam an den komplexen Problemstellungen zu arbeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt.
Design Thinking galt über lange Jahre als Modeerscheinung, die – wie viele andere Beratungsansätze – bald wieder verschwindet. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Auch nach mehr als zehn Jahren findet Design Thinking in vielen Unternehmen Anwendung. Vor allem, wenn es darum geht, gemeinsam Neues zu entwerfen.
Wie laufen die entsprechenden Prozesse ab?
Zahlreiche Beispiele, Vorlagen und Illustrationen runden das Playbook ab und gehen vielseitig auf die zuvor genannten Erfolgsfaktoren ein. Besonders gelungen finde ich die Zeichnungen und Fotos, die sich über sämtliche Kapitel verteilen. Von der persönlichen Begrüßung samt Rituale über Session-Beschreibungen bis hin zu Zeitplänen, bleiben zudem keine Wünsche offen.
Der Design Thinking Prozess führt Teams in iterativen Schleifen durch insgesamt sechs verschiedene Phasen. Jede dieser Phasen erhält im Buch ausreichend Raum. Der Autor nimmt Bezug zu vorherigen Kapiteln oder verweist auf konkrete Anwendungen. Letztgenannte finden sich vor allem zum Ende hin toll veranschaulicht.
Verstehen (understand): In der Phase des Verstehens steckt das Team den Problemraum ab und entwickelt ein gemeinsames Verständnis der Design Challenge. Sie tauschen ihr vorhandenes Wissen zum Problemraum aus und sammeln offene Fragen.
Beobachten (observe): In der Phase des Beobachtens verlassen die Teams ihre Innenansicht und erforschen die Außenwelt. Hiermit bauen sie Empathie für Nutzer und Betroffene auf.
Definieren (define): In dieser sogenannten Point-of-View-Phase geht es darum, die Sichtweise beziehungsweise den Blickwinkel zu definieren. Es gilt die gewonnenen Erkenntnisse zusammenzutragen, zu verdichten und zu interpretieren.
Entwickeln (ideate): In der Phase der Ideenfindung entwickeln die Teams zunächst eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten. Dies geschieht mittels Kreativitätstechniken. Daran angeschlossen folgt der Fokus samt Wahl auf die beste Lösungsidee.
Bauen (prototype): In dieser Phase konkretisieren die Teams ihre Ideen in anschaulichen und anfassbaren Prototypen für Nutzertests und Präsentationen. Es bieten sich leicht herstellbare Prototypen an, die mit geringem Zeitaufwand auf Basis von Skizzen, Lego oder alltagstauglichen Materialien entstehen.
Testen (test): In der Testphase nutzen die Teams die Prototypen, um Feedback von Nutzern zur Lösungsidee einzuholen. Mit diesen besonders wertvollen Erkenntnissen endet der Design Thinking Prozess.
Fazit: Kreatives Workbook über Design Thinking
Wer mehr darüber erfahren möchte, wie Design Thinking in der Praxis funktioniert, dem empfehle ich abschließend folgende Podcast-Folge. Dr. Claudia Nicolai, Co-Direktorin der HPI School of Design Thinking, und Dr. Holger Rhinow, Programm-Manager an der HPI Academy, beim Wissenspodcasts „Neuland“:
Unter dem Strich gibt das rezensierte Buch konkrete Antworten auf relevante Fragen, die gerade zu Beginn aufkeimen. Es lädt zum Mitmachen und Mitdenken ein. Anschaulich und verständlich illustriert der Autor den praxiserprobten Einsatz von Design Thinking und das Scoping von Projekten. Schritt für Schritt zeigt er auf, wie ein Workshop zu planen ist, um effiziente Konzeptideen für komplexe Themen zu entwickeln. Ob die gezeigten Anwendungen wirklich als Pauschalrezept bei individuellen Einzelfällen funktionieren, muss sich zeigen. Allerdings habe ich Zweifel – wohlgemerkt nicht am Workbook.
Ein großes Dankeschön an den Verlag BusinessVillage für die schnelle und unkomplizierte Vermittlung des Interviews!
Autor: Stefan Schütz
Foto: Alexas_Fotos / pixabay